Mythos #50 Kapitel V

Mythos #50: Blockchains sind die Lösung für all unsere Probleme.
Martin Florian

Mythos: Die „Blockchain“, die mysteriöse Technologie, die hinter dem Bitcoin und anderen Kryptowährungen steht, ermöglicht die unterschiedlichsten Anwendungen in allen Bereichen des Lebens. Aufgrund ihrer erfolgreichen Anwendung bei der Realisierung digitaler Währungen eignet sie sich auch hervorragend für die „Dezentralisierung“ einer Vielzahl anderer Anwendungen und Dienste, wodurch Intermediäre und Vertrauen überflüssig werden.

 

Stimmt’s? Wenn man „Blockchain“ als Synonym für „Digitalisierung“ oder „etwas mit Computern und Kryptographie“ verwendet, liegt ein Körnchen Wahrheit in diesem Mythos! Alle Vorbehalte, technologische Lösungen auf komplexe menschliche Probleme anzuwenden, gelten natürlich weiterhin.

Aber was bedeutet eigentlich „Blockchain“? Eine Blockchain ist im engsten Sinn eine Art der Organisation von Daten, eine sogenannte Datenstruktur. Sie ist eine Liste von „Dingen“, die ihrerseits zu „Blöcken“ zusammengefasst sind. Jeder neue Block wird auf den letzten aufgesetzt, und alte Einträge dürfen weder geändert noch entfernt werden. Das „Obenaufsetzen“ wird mittels Kryptografie gesichert. Jeder Block „zeigt“ auf seinen Vorgänger, und indem man den „richtigen letzten Block“ kennt, kann man prüfen, ob die Daten, die man von allen vorhergehenden Blöcken hat, in ihrer ursprünglichen Form vorliegen. Dies ist sehr hilfreich, wenn man sicherstellen will, dass ein Ereignisprotokoll nicht manipuliert wurde. Allerdings kann jemand auch leicht eine gefälschte Kette von Blöcken konstruieren, um die von ihm vorgenommenen Änderungen zu verbergen. Wie kann man also entscheiden, welcher Kette man vertrauen soll?

Auftritt Bitcoin. Der Bitcoin (und einige der davon inspirierten Projekte) versucht, ein ganz spezifisches Problem zu lösen: Wie kann sich eine Gruppe von anonymen und nicht vertrauenswürdigen Peers sicher auf die „richtige“ Blockkette einigen? Das ist sehr schwer. Zum Beispiel kann man nicht einfach abstimmen, denn gefälschte Stimmen lassen sich problemlos generieren, wenn jeder anonym ist. Einfach ausgedrückt, versucht der Bitcoin, sein sehr schwerwiegendes Problem mit einer Politik unter dem Motto „eine Stimme pro vergeudeter Einheit elektrischer Energie“ zu lösen.

Es spricht viel dafür, dass man es nicht ausschließlich mit anonymen, nicht vertrauenswürdigen Peers zu tun hat. Man kann daher explizit eine Gruppe stimmberechtigter Peers definieren und trotzdem die Blockchain-Datenstruktur verwenden. Man erhält eine Art verteilte Datenbank, die sehr effizient gestaltet werden kann, wenn sich die Peers auf einen Anführer einigen können, und es nicht die Anforderung gibt, dass das Endprodukt „Irgendwas mit Blockchain“ sein muss.

Aber vielleicht helfen uns „Smart Contracts“, alles zu dezentralisieren? Unglücklicherweise sind sie nur für die Arbeit mit Daten hilfreich, die sich bereits in einer Blockchain befinden. Sicherzustellen, dass die Daten zunächst einmal korrekt sind, ist nach wie vor ein ungelöstes und sehr schwerwiegendes Problem. Schließlich ist die Blockchain nur eine Kette von Blöcken – woher soll sie wissen, ob draußen die Sonne scheint oder ob die Bananen, die ich esse, wirklich fair gehandelt sind?

 

Stimmt also nicht! Die dem Bitcoin zugrunde liegenden Konzepte sind für Gruppen von Peers interessant, die gemeinsam ein Ereignisprotokoll unterhalten möchten, sich aber nicht auf eine einzige Entität einigen können, um die Logeinträge zu ordnen. Außerhalb dieses engen Rahmens schneiden Blockchain-basierte Systeme in der Regel (in Bezug auf Durchsatz, Latenz und Kosten) schlechter ab als bestehende und einfachere Ansätze. Hinsichtlich des Problems mangelnden Vertrauens könnte die Blockchain helfen sicherzustellen, dass die erfassten Daten nicht verändert wurden, aber sie kann uns nicht sagen, ob die Daten ursprünglich korrekt waren.

 


Quelle: Karl Wüst und Arthur Gervais, Do you need a Blockchain?, 1st Crypto Valley Conference on Blockchain Technology (2018), https://eprint.iacr.org/2017/375.pdf, http://doyouneedablockchain.com; Florian Tschorsch und Björn Scheuermann, Bitcoin and Beyond: A Technical Survey on Decentralized Digital Currencies, IEEE Communications Surveys & Tutorials 18 (2016) 3, https://eprint.iacr.org/2015/464.pdf.