Mythos #41: Netzwerkeffekte sind unüberwindbar.
Paul Belleflamme

Mythos: Positive Netzwerkeffekte ergeben sich, wenn der Wert einer Lösung (eines Produkts, eines Services, einer Plattform) mit zunehmender Nutzer*innenzahl steigt. Da die frühe Annahme eines Angebots oder Produkt den Kund*innen später weitere Annahme nahelegt, wird eine Lösung, die sich einmal an die Spitze gesetzt hat, das gesamte Wettbewerbsfeld unweigerlich dominieren.

 

Stimmt’s? Netzwerkeffekte entstehen dadurch, dass die Nutzer*innen in ihren eigenen Entscheidungen die Teilnahme und Nutzungsentscheidungen anderer Nutzer*innen berücksichtigen. Wenn Nutzer*innen zu einer eindeutig definierten Gruppe gehören, ergeben sich „direkte“ Netzwerkeffekte, da ein Mehr an Nutzung innerhalb der Gruppe jedes andere Gruppenmitglied unmittelbar betrifft (wie dies bei Kommunikationsendgeräten der Fall ist). Netzwerkeffekte können auch bei Nutzer*innen unterschiedlicher Gruppen auftreten, so beispielsweise bei vielen digitalen Plattformen (Airbnb wird für Gäste umso attraktiver, je mehr Gastgeber sich beteiligen und umgekehrt). In diesem Fall sind die Netzwerkeffekte indirekt: Zusätzliche Nutzer*innen haben keine direkte Auswirkungen auf die anderen Nutzer*innen in der Gruppe, sondern nur über die erhöhte Beteiligung an der anderen Gruppe.

Bei positiven (direkten oder indirekten) Netzwerkeffekten erhöht ein Mehr an Nutzung den Wert, was wiederum zu mehr Nutzung führt usw. Dieser sich selbst verstärkende Prozess begünstigt eine Situation, in der der Stärkste alles bekommt (eine einzige Lösung zieht letztlich die meisten oder sogar alle Nutzer*innen an), sowie ein gewisses Festhalten an Bewährtem (Nutzer*innen sind nicht bereit, von sich aus zu wechseln, da alternative Lösungen erst in dem unwahrscheinlichen Fall attraktiv werden, dass alle Nutzer*innen gemeinsam wechseln). Dennoch kann eine Reihe von Gegenkräften die Multiplikationswirkung solcher schneballartigen positiven Netzwerkeffekte dämpfen.

Erstens sind Netzwerkeffekte selten in der Gesamtschau positiv: Sie können nur auf kleine Gruppen von Nutzer*innen beschränkt sein (beispielsweise ohnehin vorhandene Freunde in sozialen Medien), sich innerhalb einer Gruppe negativ auswirken (beispielsweise konkurrierende Verkäufer auf einer Handelsplattform) oder zu einem späteren Zeitpunkt negativ werden (beispielsweise aufgrund einer überlasteten Netzwerkinfrastruktur). Zweitens können sich Differenzierungs‑ und Netzwerkeffekte gegenseitig aufheben: Mehrere Lösungen können parallel existieren, weil sie den spezifischen Bedürfnissen verschiedener Segmente von Nutzer*innen entsprechen (beispielsweise nicht kompatible Spielekonsolen), und darüber hinaus kann eine neue und bessere Lösung eine bislang vorherrschende verdrängen, wenn sie den Nutzer*innen einen hinreichend großen Wert bietet, um einen Wechsel in Betracht zu ziehen (beispielsweise die Verdrängung von MySpace durch Facebook).

Selbst wenn der Stärkste also alles bekommt (man denke an den derzeitigen 95 %-Marktanteil der Google-Suchmaschine in Europa), lässt sich dies nicht allein mit positiven Netzwerkeffekten erklären: Skalen‑ oder Größenvorteile auf der Angebotsseite tragen ebenfalls dazu bei, während wettbewerbswidriges Verhalten eine Rolle bei ihrer Festigung spielen kann.

 

Stimmt also nicht! Positive Netzwerkeffekte erzeugen sich selbst verstärkende Prozesse, die dazu führen können, dass der Stärkste letztlich alles bekommt. Gleichwohl existieren auch Gegenkräfte zum Netzwerkeffekt, die parallele Angebote oder konkurrierende Unternehmen möglich machen und durchaus dazu führen können, dass einmal vorherrschende Lösungen durch neue, bessere ersetzt werden.

 


Quelle: Paul Belleflamme und Martin Peitz, Platform and Network Effects, in Luis C. Corchon and Marco A. Marini (Hrsg.), Handbook of Game Theory and Industrial Organization (Cheltenham: Edward Elgar, 2018), https://ssrn.com/abstract=2894906; Andrei Hagiu und Simon Rothman, Network Effects Aren’t Enough, Harvard Business Review (April 2016), https://hbr.org/2016/04/network-effects-arent-enough.