Mythos #36: Wir bezahlen für den Zugang zum Internet, das von anderen zur Verfügung gestellt wird.
Bob Frankston

Mythos: Wir betrachten das Internet als eine Dienstleistung, die wir von Internet-Anbieter*innen erhalten, oder als einen Ort, auf den wir zugreifen. Wir ‚abonnieren’ den Internetzugang, bezahlen dafür und machen uns Gedanken um den Verbrauch an Datenvolumen.

 

Stimmt’s? Auf einer Fortbildung, die ich im Frühjahr 1973 besuchte, lernte ich durch Zufall das ALOHAnet auf Hawaii kennen, das nur aus Computern und Funkverbindungen bestand. Wenn ein Paket verloren ging, schickte es das Computerprogramm einfach erneut. Bob Metcalfe, der ebenfalls an diesem Kurs teilnahm, nutzte diese Idee als Grundlage für seine berühmte Netzwerktechnologie des Ethernet. In den 1960er Jahren waren die Computer schnell genug, sodass wir nicht mehr auf die Dienste eines Carriers angewiesen waren, und wenn ein Paket verloren ging, konnte man es schnell erneut versenden. Eine Alternative war Streaming, wobei man verloren gegangene Pakete ignorieren konnte.

Erst als ich in den 1990er Jahren bei Microsoft an Heimvernetzungslösungen arbeitete, erkannte ich, dass dies keine Netzwerke im traditionellen Sinne eines einzigen Dienstes waren, der sicherstellt, dass Nachrichten auf dieselbe Weise ihren Empfänger erreichen, wie die Eisenbahn garantiert, dass Pakete ihr Ziel erreichen.

Glücklicherweise hatte ich Freunde und Kollegen, die an disparaten Netzwerken arbeiteten und die Stärke dieser Technik erkannten. Der Name „Internet“ blieb hängen, doch war es kein Netzwerk mehr, sondern lediglich eine Möglichkeit zur Nutzung bestehender Einrichtungen, ohne von einem Carrier abhängig zu sein. Dies ermöglichte es den unterschiedlichen Netzwerken, alle verfügbaren Infrastrukturen einschließlich der bestehenden Telekommunikationsanlagen zu nutzen und sie zu einem gemeinsamen Inter-Netz zusammenzuführen. Das Internet ist kein Ort, sondern eine Art und Weise der Nutzung aller verfügbaren Einrichtungen (# 35).

Der Vergleich hinkt, wenn man sich Daten als physisches Frachtgut vorstellt: Im Gegensatz zu einem traditionellen Netzwerk senden wir nicht unbedingt Daten („Inhalte“), sondern eine Referenz wie beispielsweise eine URL (einen Verweis) auf eine Website. Wir nutzen dasselbe Konzept, wenn wir etwas bei Amazon bestellen, wobei die Teilenummer an das nächstgelegene Lager gesandt und die Bestellung nicht etwa aus Seattle geliefert wird.

Dank der Verwendung gemeinsamer Protokolle können sich die einzelnen Angebote zu dem Ganzen zusammenfügen, das wir „das Internet“ nennen. Es wird nicht bereitgestellt, sondern entsteht aus geteilten Angeboten. Es ist nicht begrenzt durch die Menge der Daten, die wir durch eine Leitung schicken können, sondern es wächst, wenn wir neue Ideen einbringen und neue Einrichtungen bereitstellen.

 

Stimmt also nicht! Das Internet ist die Art und Weise, wie wir unsere Kabel und Funkverbindungen nutzen, und nicht ein Service, den wir kaufen. Wenn wir eine Breitbandverbindung buchen, bezahlen wir, um an einer Schranke vorbeizukommen. Wir bezahlen also nicht für das Internet, sondern um eine künstliche errichtete Paywall zu passieren. Wir brauchen eine internetnative Infrastruktur.

 


Quelle: Jerry H. Saltzer, David P. Reed und David D. Clark, End-to-end Arguments in System Design, ACM Transactions on Computer Systems (TOCS) 2 (1984) 4, 277‑288, http://web.mit.edu/Saltzer/www/publications/endtoend/endtoend.pdf; Calvin Hennick, How ALOHAnet Helped Hawaii Make Waves in Networking and IT Innovation, StateTech, 30. Juni 2016, https://statetechmagazine.com/article/2016/06/how-alohanet-helped-hawaii-make-waves-networking-and-it-innovation.