Mythos #01 Kapitel I

Mythos #01: Was man im Internet tut, lässt sich nicht regulieren.
Nikolas Guggenberger

Mythos: Das Internet kann nicht reguliert werden. Das menschliche Verhalten im Internet widersetzt sich jeder oder zumindest jeder sinnvollen Regulierung. Gesetze gelten entweder gar nicht oder können, wenn sie gelten, aufgrund der Architektur, der Infrastruktur und der Art der Onlinekommunikation im Fall von Zuwiderhandlungen nicht vom Staat vollzogen werden.

 

Stimmt’s? Trotz aller gegenteiligen Beweise hat sich der Mythos, dass das Verhalten im Internet, im Cyberspace oder auf der „Datenautobahn“ nicht reguliert werden könne, grundsätzlich durchgesetzt und lebt mit jedem Innovationszyklus in neuer Gestalt wieder auf. Der Mythos basiert sowohl auf einem Missverständnis der Natur von Regulierung als auch auf einem Missverständnis der Infrastruktur des Netzes und der Merkmale der Onlinekommunikation im Allgemeinen. Dreißig Jahre lang haben Wissenschaft, Gesetzgeber und Strafvollstreckungsbehörden diesen Mythos widerlegt und dennoch lebt der Mythos mit jedem neuen Phänomen wieder auf, angefangen von Suchmaschinen über soziale Medien bis hin zur Blockchain-Technologie.

Beginnen wir mit dem falschen Verständnis der Natur rechtlicher Regulierung. Regulierung adressiert Personen oder, genauer gesagt, natürliche und juristische Personen. Regulierung reguliert Dinge einschließlich Netzwerken, Räumen oder Datenautobahnen aller Art nicht unmittelbar, sondern bestenfalls die Beziehungen zwischen Personen und Dingen. Daher ist die Frage, ob das Internet selbst direkt reguliert werden kann, die falsche Frage. Die Frage sollte vielmehr lauten, ob Nutzer*innen, die über das Internet kommunizieren oder Geschäfte tätigen, durch Regulierung erreicht werden können und ob dies seinerseits die Gestalt des Internets beeinflusst. Bei richtiger Formulierung können wir die Frage eindeutig mit Ja beantworten: Menschen können für Onlinebetrug bestraft und für Urheberrechtsverletzungen und die Verbreitung illegaler Inhalte zur Verantwortung gezogen werden. Elektronisch geschlossene Verträge sind ebenso rechtsverbindlich wie ihre analoge Entsprechung. Die Praxis des E‑Commerce wurde durch Verbraucherschutzrechte geprägt, und die DSGVO und ihre Vorgänger haben die Grenzen der Verarbeitung personenbezogener Daten definiert.

Das zweite Missverständnis verwechselt Hindernisse bei der praktischen Durchsetzung von Rechtsvorschriften und der grundsätzlichen Möglichkeit zur Regulierung. Das digitale, globale, teilweise dezentrale und auf gewisse Weise anonymeOnlineumfeld fördert fraglos bestimmte Straftaten und erleichtert die Umgehung lokaler Vorschriften durch Senkung der Transaktionskosten für derartige Praktiken (# 5). Dennoch würde keines dieser Hindernisse bei der Strafverfolgung die Möglichkeit zur Regulierung des Onlineverhaltens einschränken. Erstens haben die zuständigen Behörden Verfahren zur Ermittlung von Straftaten und zur Durchsetzung von Vorschriften im Internet entwickelt. Zweitens sind das Internet als Netzwerk und die Intermediäre auf die physische Infrastruktur angewiesen, die problemlos Ziel von Strafvollstreckungsmaßnahmen sein können. Drittens ist das Internet keineswegs ein Umfeld, in dem eine Überwachung aus systemischen Gründen wesentlich schwieriger ist als andernorts.

 

Stimmt also nicht! Das Verhalten im Internet kann wie jedes andere Verhalten Gegenstand von Regulierung sein. Gesetze und Vorschriften gelten auch hier und Verstöße lösen Rechtsfolgen aus. Auch wenn Anonymität, der grenzüberschreitende Charakter von Verträgen und Straftaten, die Geschwindigkeit der Kommunikation und die technischen Fähigkeiten von Kriminellen Herausforderungen für die Wirksamkeit von Strafverfolgungsmaßnahmen sind, ändert dies nichts an der simplen Tatsache, dass unser Leben online ebenso wie offline Regulierung unterworfen ist.

 


Quelle: Lawrence Lessig, Code Version 2.0 (Cambridge: Basic Books).