Mythos #03: Code ist Gesetz.
Riikka Koulu

Mythos: Code ist Gesetz. Die Softwarecodes sind zum zentralen oder sogar primären Werkzeug der Lenkung menschlichen Verhaltens und zur Wahrnehmung sozialer Kontrolle geworden. „Das Internet“ kann staatlich nicht reguliert werden und benötigt daher alternative Strategien wie beispielsweise Selbstregulierung und Regulierung durch Code.

 

Stimmt’s? Es ist unbestreitbar, dass kodierte Umgebungen eine normative Dimension besitzen, die das mögliche Handeln der Internetnutzer*innen beeinflusst. Dies bedeutet jedoch nicht, dass bestehende gesellschaftliche und rechtliche Strukturen in Onlineumgebungen automatisch verschwinden oder ineffizient werden, was auch nicht Lessigs ursprüngliches Argument war. Nach Lessig ist die technische Infrastruktur neben dem Recht, sozialen Normen und dem Markt lediglich eine weitere Form der Steuerung des Cyberspace. Lessigs Sicht kann als Cyberpaternalismus gesehen werden, da sie die Sorge hinsichtlich der verdeckten, undurchsichtigen und schleichende Kontrolle durch Code ausdrückt, der nach Lessigs Ansicht durch Gesetze und die Transparenz von Online‑ und Offlineregulierung entgegengewirkt werden müsse.

Letztendlich stellt die Auffassung „Code ist Gesetz“ eine übertriebene Vereinfachung einer weitaus komplexeren Regulierungslandschaft dar, die den Unglauben an die Fähigkeit von Staaten zur Regulierung des Cyberspace widerspiegelt (wie in der Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace von 1996) und zu politischen Zwecken vielfach falsch zitiert wurde (# 1). Unberücksichtigt bleibt bei diesem Ansatz, dass das moderne Recht nicht an den Staat gebunden, sondern auch international und pluralistisch ist (# 2). Der transnationale Charakter des Internets bedeutet daher nicht, dass sich das Onlineverhalten der Reichweite staatlicher und nichtstaatlicher Offlineakteure entzieht, was sich beispielsweise an den Versuchen zur Regulierung von Plattformen, an Daten-Governance sowie am Verbraucherschutz im E‑Commerce zeigt.

Lessig stellt zutreffend fest, dass soziale Kontrolle im Cyberspace durch technologische Architektur ausgeübt wird. Dies ist auch Ausdruck früherer Erkenntnisse über normative Technologien, die sich auf Social Engineering durch Architektur und technologische Artefakte konzentrierten. Laut Leenes erinnert die Auffassung, Code sei Gesetz, an andere „designbasierte Kontrollmechanismen, [die] extrem mächtig sind, weil sie eher ex ante denn ex post agieren“ und keine Sanktionen im typischen Sinne vorsehen (Leenes 2012, 147). Technische Infrastruktur allein ist nicht ausreichend, da sie nicht in der Lage ist, Konflikte vollständig zu beseitigen, die dann ex-post-Mechanismen für die gesetzlich verlangte Streitbeilegung erfordern.

Zwischen der Normativität von Technologie und rechtlicher Normativität besteht ein Unterschied. Hildebrandt beschreibt technologische Normativität als „die Art und Weise, auf die eine bestimmte technologische Vorrichtung oder Infrastruktur menschliches Handeln real einschränkt, indem sie Verhaltenstypen fördert oder durchsetzt, hemmt oder verbietet“. Im Gegensatz zur rechtlichen Normativität ist die technologische Architektur weder auf die Autorität und das Gewaltmonopol des Staates angewiesen noch wird sie durch demokratische Verfahren erzeugt (Hildebrandt 2008, 176).

 

Stimmt also nicht! Die rechtssoziologische Forschung hat einen komplexeren und differenzierteren Ansatz zur Beschreibung des komplizierten Zusammenspiels technischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Regeln für die Regelung menschlichen Verhaltens im Netz formuliert. So können beispielsweise Konzepte des rechtlichen Pluralismus oder der Technoregulierung zur Beschreibung der Komplexität der Internetregulierung hilfreich sein, um die Vielzahl staatlicher und nichtstaatlicher Akteure sowie die verschiedenen Schichten rechtlicher, gesellschaftlicher und technischer Regulierung passend zu fassen.

 


Quelle: Mireille Hildebrandt, Legal and Technological Normativity: More (and Less) Than Twin Sisters (2008) 12(3) Techné: Journal of the Society for Philosophy and Technology (2008), 169-183, https://www.academia.edu/702733/Legal_and_Technological_Normativity_more_and_less_than_twin_sisters; Ronald Leenes: Framing Techno-Regulation: An Exploration of State and Non-State Regulation by Technology, Tilburg Law School Legal Studies Research Paper Series No. 10/2012, http://ssrn.com/abstract=2182439.